Auf eigenen Füßen stehen – eine berufstätige Frau in Afghanistan

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERASie liebt ihren Job bei einer afghanischen Partnerorganisation der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. Und vor allem: Sie darf arbeiten. Ihr Mann unterstützt sie. Er ermutigt sie sogar, ein zusätzliches Studium zu absolvieren. Das hätte sie nicht erwartet. Afghanische Männer sind nicht so. Ihr Mann, ein selbständiger Buchhalter, denkt modern, fast westlich. Und darauf ist Fatima S. stolz. Auch wenn sie ihn am Anfang, vor der durch die Familien organisierte Hochzeit, nicht geliebt hatte. Doch das war für Fatima, die die Traditionen ihres Landes respektiert, in Ordnung. Die Liebe kam nach der Hochzeit. Jetzt wird sie um diesen Ehemann sogar beneidet, von ihren Freundinnen, ihren Kolleginnen.

Denn ihr Leben ist in Afghanistan nicht nur keine Selbstverständlichkeit, es ist sogar etwas Besonderes. Ihre Augen strahlen, als sie erzählt, dass sie jeden Morgen um 3 Uhr aufsteht, das Frühstück für ihren Mann und ihre Kinder zubereitet. Dann kommt schon ein Fahrer und bringt sie in die Uni zum Frühmorgenkurs. Sie studiert Finanzwesen an einer der Universitäten von Kabul. Zusammen mit neun Studentinnen und 51 Studenten. An vier Tagen in der Woche, von 5.30 bis 7.30 Uhr. In einem Jahr wird sie ihren Bachelor in der Hand halten, endlich, ihr Diplom. Dann hat es sich gelohnt, das frühe Aufstehen, das viele Lernen neben dem Beruf, dem Haushalt, der Kindererziehung.

Nach dem Unterricht bringt sie der Fahrer ins Büro zu ihrer eigentlichen Arbeit, zu ihrem Broterwerb. So früh als Frau alleine auf den Straßen der afghanischen Hauptstadt wäre undenkbar. „Viel zu gefährlich“, winkt die 35-Jährige ab. Ein Großteil ihres Gehaltes geht für den Fahrer drauf, aber das ist es ihr verständlicherweise wert.

Buchhaltung und Mathe waren schon in der Schule ihre Lieblingsfächer. Die Flucht vor den Mujaheddin, den Gotteskriegern in ihrem Heimatland, führten sie und ihre Familie nach Pakistan. Dort erzählten Bekannte ihrem Vater von einer Sekretärinnenstelle bei einer Hilfsorganisation in Kabul, die für Frauen geeignet sei. Genau das war der Job für Fatima. Sie setzte sich durch, stellte sich vor und bekam den Job.

Sie begann mit allen möglichen Bürotätigkeiten, guckte aber der Buchhalterin immer sehr interessiert über die Schulter. Als diese sich für ein besseres Leben im Iran entschied und Job und Kabul verließ, war Fatima die perfekte Nachfolgerin. Damit erfüllte sie sich auch eine Herzensangelegenheit. „Ich habe so viel Elend gesehen, so viele benachteiligte Frauen, vor allem in den entlegenen Regionen meines Landes, ohne ausreichende Nahrung, ohne Bildung, krank und verarmt. Da wurde mir bewusst, wie sehr meine Hilfe benötigt wird.“ Und bei der etablierten Hilfsorganisation fühlte sie sich auch gleich wohl. „Eine interessante Arbeit mit guter Bezahlung, dazu die Tatsache, helfen zu können und sich selbst durch eine Uniausbildung voranzubringen, was will ich mehr?“, strahlt sie.

Doch es gibt auch Wehmut in ihren Erzählungen: „Das Leben in Pakistan war schön und sicher, vor allem, da ich als Mädchen in die Schule gehen und später Englisch unterrichten konnte. In Kabul dagegen werden wir täglich mit Terror und Krieg konfrontiert, nichts ist mehr sicher, seit einem halben Jahr laufe ich nur noch mit einem langen Mantel herum. Die Taliban hassen alle, die mit Ausländern kooperieren. Ich habe Angst.“

Über ihren größten Wunsch muss Fatima nicht lange nachdenken: „Ich möchte professionell arbeiten können, auf eigenen Füßen stehen, mein erlerntes Wissen weitergeben und andere Frauen ermutigen, es mir gleichzutun. Denn Frauen werden am meisten von allen ignoriert.“

Wenn sie genug vom Krieg, den Explosionen, Bomben und Anschlägen hat, hilft ihr die Musik: „Wenn ich Lieder höre, geht es mir gut. Die Nachrichten dagegen mit all dem täglichen Elend will ich gar nicht hören.“ Dann wendet sie sich wieder ihrem Excel-Programm zu. Die angefangene Liste muss ergänzt und beendet werden.

(Fatima ist ein Alias-Name. Kurz nachdem ich das Interview geführt hatte, wurde ihr Cousin von Taliban-Milizen ermordet. Er hatte für eine ausländische Nichtregierungsorganisation gearbeitet, was ihm schließlich zum Verhängnis wurde.)

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