Als ich Birgits Reiseerzählung gelesen hatte, war ich begeistert. Zwei Wochen lang arbeitete sie auf einer Alm in der Schweiz und brachte viele unvergessliche Erlebnisse mit zurück in den Alltag. Ich bin sehr glücklich, sie Euch hier als meine Gastautorin vorstellen zu können. Vielleicht ist Ihre Erzählung eine Anregung, mal einen ganz anderen Urlaub zu verbringen …
Als Bergbauern-Hilfe in der Schweiz – Einblick in ein anderes Leben
Es stand schon lange auf meinem „Wunsch-Zettel“: Ein Urlaub bei Bergbauern – frische Luft, Leben im Einklang mit Tier und Natur, Abgelegenheit, körperliche Arbeit …
Die Sehnsucht nach den einfachen Dingen, nach denen sich anscheinend viele bei unserer Art zu Leben mehr und mehr zurücksehnen, zumindest wenn ich den Kommentaren vieler meiner Mitmenschen vor meinem Urlaub Glauben schenken darf.
Über den Tipp eines Bekannten bin ich im Internet auf die Seite der Caritas Schweiz gestoßen, die Hilfe für Bergbauern vermittelt. Dort kann man sich „seine“ passende Bergbauern-Alm aussuchen und sich dort für ein bis mehrere Wochen anmelden.
Meine Wahl fiel auf eine Bergalm im Gfell, oberhalb von Gstaad, auf rund 1.700 Metern Höhe. Das Ehepaar mit den 16- und 18-jährigen Töchtern verlässt seit 17 Jahren jeden Sommer den Hauptbetrieb im Tal und stellt von Juni bis September hier oben in sehr traditioneller Handarbeit täglich mehrere Laib Berner Alp- und Hobelkäse her.
Mitbewohner sind, klassisch mit Almauf- und -abtrieb, insgesamt 26 Kühe, drei Kälber, ein Stier und zehn Schweine. Seit jeher gehören Helfer von außen zum Betrieb dazu, damit der Bergbauer auch Dinge im Tal erledigen kann (heuen, einkaufen, Käse einlagern, etc.), während oben das tägliche Melken und Käsen absolviert werden muss. Mit viel Erfahrung und Geduld wird man als Laie in diese Abläufe eingeschleust – es tickt eine eigene Uhr, ein Rhythmus, der mit Natur und Tageszeit geht, dem man sich nicht entziehen kann und möchte. Mithilfe heißt wirkliches Anpacken (geschlechterunabhängig), dabei wird nicht überschwänglich gelobt und bedankt, bemitleidet oder geschont – man ist einfach ein Teil vom Ganzen.
Das Ehepaar bzw. die Familie ist im gegenseitigen Umgang und auch im Umgang mit mir urig, echt, ungeschminkt. Geschmückt mit einer guten Prise Humor und Schweizer Dialekt, von dem ich tatsächlich etwa 70 Prozent nicht verstanden habe und das als Fremdsprache speichern musste. Für mich gab’s aber natürlich im Zweifel dann „Schwiezer-Hochdeutsch“. Oft wurde aber einfach auch gar nicht geredet, manchmal Ruhe bei Tisch, bei der Arbeit – oder dem „Genuss-Moment“ am Abend nach vollbrachtem Tagwerk bei Sonnenuntergang auf der Veranda.
Gelernt wird oft durch Zuschauen, Beobachten, Nachahmen und Ausprobieren – das „Warum“ kommt oft erst viel später. Dass die Kinder von klein an integriert sind und helfen, ist ganz normal. Und selbst, wenn beide Töchter heute in Ausbildung sind und den Betrieb wohl nicht übernehmen werden, helfen sie bei Anwesenheit wie natürlich dort, wo es nötig ist.
Die Almhütte, erbaut schätzungsweise vor 1850, beherbergt unter einem Dach den größeren Kuhstall, einen Schweinestall, die Küche mit Ess-/Arbeitstisch und großer Feuerstelle für das Käsen und Kochen. Dazu einen natürlichen Käsekeller, der auch im heißen Sommer eine Temperatur von maximal 15-16 Grad garantiert, einen Vorratsraum, die „Stube“ (das Schlafzimmer des Ehepaars) und, über Stall und Küche mit Falltür und Leiter erreichbar, mein gemütliches Gästezimmer und ein weiterer Schlafraum für die Töchter. Fließendes kaltes Wasser kommt von weiter oben vom Berg, Körperpflege erfolgt meist draußen am Trog mit Schüssel und Waschlappen, das WC ebenfalls draußen als einfaches, aber sehr sauberes Plumpsklo. Strom gibt es dann, wenn der Generator in der Zeit vom Melken angeworfen wird – eine Batterie wird aufgeladen, die abends für ein paar Stunden Licht reicht (und für das Aufladen der neumodernen Geräte der auswärtigen Helfer oder der Töchter – diese eine Steckdose erscheint für manche wie ein potentielles „Guckloch“ in die gewohnte technisierte Welt).
Alle Geräte und Werkzeuge haben ihren festen durchdachten Platz, daran ist auch nicht zu rütteln und die ersten Tage tut man gut daran, schnellstmöglich alle Abläufe, Gepflogenheiten und das Arbeitsfeld kennenzulernen – Organisation auf kleinstem Raum. Einzige moderne Gerätschaften sind drei per Kompressor betriebene Vakuum-Melkmaschinen (Auseinander- und Zusammenbauen ist nicht ohne!), eine Kreissäge, ein kleiner, bergfähiger Traktor, ein Güllewagen und für den Transport von Mensch und Material ins Tal und zurück ein Auto und ein Motorrad. Der Rest – echte Handarbeit …
Vor traumhafter Kulisse (und bei touristisch gesehen Traum-Wetter – aus Landwirtschafts-Sicht wohl etwas zu trocken und zu heiß) waren meine Tage gefüllt mit interessanten Aufgaben. Teilweise ungewohnt und neu, teilweise auch Dinge, die wir als Mensch grundsätzlich können sollten, von denen man sich aber immer mehr entfernt und sich eigentlich richtig „degeneriert“ vorkommt.
Weckzeit, sehr gemäßigt, um 6.30 Uhr mit Traumblick aus dem Fenster. Nach Morgentoilette gibt’s das „Z’morgene“ (Frühstück mit Brot und Käse und Müsli). Je nach Weidefläche und Laune stehen dann auch schon die Kühe am Zaun in der Warteschlange für den Stall – sie bleiben nachts draußen und fressen sich an den Bergkräutern und Gräsern satt. Während alle ihre Stallbox zugewiesen bekommen und die Kuhschwänze gewaschen und hochgebunden werden (Kuhfladen-Spritzschutz für Mensch und Tier während des Tages), ist meine erste Aufgabe der Geschirr-Abwasch. Kaum fertig, ab in den Stall mit „Melkgewand“ (Hemd, Hose und Hütchen, Gummistiefel) und Melk-Utensilien inklusive dem klassischen Melkschemel. Bereits ab dem ersten Tag darf ich „Anrüsten“, das heißt, von Hand kurz vormelken, Euter reinigen und Melkmaschine anlegen.
Zum Ende hin durfte ich auch den Rest des Melkvorgangs durchführen: Wenn die Maschine leer pumpt, muss man noch die Restmilch unter Zug ausmelken, um Euter-Entzündungen zu verhindern und natürlich möglichst viel Ertrag zu haben. Eine Kuh gibt je nach Jahreszeit sowie Weidebeschaffenheit zwei Mal täglich zwischen 5 und 13 Litern Milch. Die Milch wird abends in Behältern gekühlt, morgens direkt in den großen Käsekessel gefüllt – tägliche Gesamtmenge zwischen 400 und 460 Liter.
Für die festgelegte Melk-Reihenfolge (rund eineinhalb Stunden Dauer) tut man gut daran, alle 26 Namen, Aussehen, Standorte und letztendlich auch Charaktere der Kühe zu lernen: Die eine zickt gern, die andere ist gut erzogen, die eine tänzelt beim Melken, die andere steht still. Mein Anfänger-Fehler beim Melken: Ich bin gleich am ersten Abend in meiner Reisehose mit zum Zuschauen in den Stall – diese wurde nach entsprechender „mistiger“ Einweihung kurzerhand für den Rest ihrer Tage in eine Melkhose umfunktioniert.
Um hygienisch allen Vorschriften gerecht zu werden (darauf wird sehr viel Wert gelegt), werden nach dem Melken alle Behälter und Geräte mit kochendem Wasser und einem Chlorpulver gereinigt. Das bedeutet eine Stunde Bürstenschrubben unter Dampf mit großen Gummihandschuhen und Schürze – anstrengend!
Stiefelreinigen danach ist obligatorisch, bevor dann als nächstes bei mir Kochen („Z’mittag“) auf dem Programm steht. Währenddessen wird für das Käsen die Milch vorbereitet (Dicklegung, Ansäuern, Erwärmen); Käseproduktion bedeutet exaktes Arbeiten, daher muss das Essen auch um eine ganz bestimmte Uhrzeit fertig sein.
Nach dem Essen – Hilfe beim Käseschöpfen: Mit großen Tüchern wird aus dem heißen Riesenkessel mit der vormaligen Milch krümelige Käsemasse (ähnlich Hüttenkäse) herausgeschöpft. Die schweren, von Molke tropfnassen Pakete werden sofort in Käseformen gepresst, ausgewrungen und beschwert und von nun an über den Rest des Tages in anfangs sehr kurzen, später längeren Abständen gewendet und präpariert. Am Abend kann man dann schon den Käse als Laib erkennen. Aus 450 Liter Milch entstehen ca. 3-4 Laib Bergkäse à 10-13 Kilogramm. Die ersten Tage reifen sie noch auf dem Berg (werden gedreht und mit Salzwasser gewaschen), bevor sie dann für Monate bis Jahre in einem speziellen Keller im Tal lagern.
Eine „Kultur“ aus der restlichen Molke dient dem Käsen am nächsten Tag dann erneut als Impfstoff. Die restlichen hunderte Liter der (wohlschmeckenden) Molke werden übrigens an die Schweine verfüttert, aus denen dann irgendwann im Herbst beim Metzger nicht-vegetarische Nahrung hergestellt wird, bei der man weiß, wo sie herkommt …
Neben diesem täglichen „Standard-Programm“ gibt es dann nachmittags verschiedene Dinge zu tun: „Unkraut“-Sensen (gelber Enzian, der sonst wuchert) oder gelöste Steine sammeln im Weideland, Holz-Aufräumarbeiten von gefällten Bäumen, Holz hacken. Ein weiteres Highlight beim Nachmittagsprogramm war für mich das Herstellen von Butter mittels einer alten Holzfass-Zentrifuge, die ich so lange gekurbelt habe (ca. 45 Minuten lang), bis aus ca. 10 Liter saurem Rahm und etwas Wasser (gesammelt von etwa einer Woche) 2-3 Kilo Butter entstanden sind. Diese zum Eigengebrauch, auf Bauernbrot, einfach nur lecker!
In meiner zweiten Woche gab es beispielsweise als „Sonderaktion“ einen Heu-Einsatz im Tal. Auf einer besonders steilen „Parzelle“, an der kein Heuwagen mehr fahren kann, muss man das gemähte Gras von Hand geschätzte 100 Höhenmeter auf über 45° Gefälle hinab rechen, zu Haufen zu formen und diese unter höchstem Kraftaufwand mit einer Heugabel herunterstoßen. Nicht nur einmal bin ich mehrere Meter mit hinabgerutscht. Das Ganze bei glühender Hitze – als abendliches Ergebnis Salzkruste auf der Haut.
Gegen halb fünf dann richten des Milchgeschirrs (welcher Schlauch gehört nochmal wohin??) und nochmals kurze Jause („Z’vieri“), dann das Abendmelken. Die Kühe waren bis dahin im Stall, dementsprechend sieht er auch aus! Nach dem Melken werden sie in die Freiheit entlassen, Abbinden und Rausschicken erfordert immer etwas Mut (das Milchvieh hier hat – zum Glück!! – noch fast durchweg Hörner). Das Kuhglocken-Gebimmel der grasenden Kühe leitet so langsam den Feierabend ein, denn jetzt folgt „nur noch“ das ca. einstündige Stallmisten und Putzen, mehrere Kilo Kuhdung und Stroh werden der Jauchegrube zugefügt. Der Stall soll am nächsten Morgen wieder richtig schön reinlich sein, schließlich geben Kühe auch nur dann gerne viel Milch, wenn sie sich wohl fühlen. Dann Reinigung der Gerätschaften, der Stiefel und der eigenen Körperteile – und dann kommen Mensch und Berg zur Ruhe. Belohnung erhält man durch grandios inszenierte Abendhimmel inklusive Sonnenunter- und Mondaufgängen.
Wenn wirklich alles erledigt ist, sitzt man nochmal beim „Z’nachti“ gemeinsam zusammen, es gibt Früchte mit Rahm (direkt abgeschöpft von der Milch, unglaublich viel leckerer als unsere handelsübliche Sahne) und eine Tasse Kaffee mit Schuss. Dann vielleicht noch das Neueste aus der lokalen Zeitung, ein bisschen Gedankenaustausch, Zähneputzen. Ein letztes Mal wird der Käse gewendet (übrigens beschwert durch eine genau ausgeklügelte Stein-Balken-Konstruktion im Dachgeschoss der Hütte). Und dann ist – nicht ohne seinen Körper zu spüren – Schlafenszeit.
Das Wochenende zwischendrin konnte ich noch für zwei wunderschöne Entdeckungstouren in der Gegend nutzen, habe den Hausberg erklommen und eine Gratwanderung am gegenüberliegenden Berg unternommen!
Einblick in eine eigene Welt, ein anderes Leben! Harte Arbeit, der Lohn erkämpft, von 38-Stunden-Woche keine Rede, Wochenende nicht wirklich vorhanden und Urlaub mal kurz im Herbst zu verwirklichen.
Aber – mir sitzen Menschen gegenüber, die zufrieden scheinen, glücklich mit dem, was sie haben, nicht dauernd erpicht auf „höher, schneller, weiter, mehr …“
Auch das geht: Tradition statt immer nur Innovation, vielleicht in unseren Augen auch zum Teil rückständig, aber auch sie leben eine Kultur und Werte. Menschen, die akzeptieren, dass es Verschiedenartigkeit gibt und auch geben soll. Aber sie strahlen aus, dass sie es nicht anders wollen – sondern gerne so leben, wie sie leben.
Mehr über Birgits Welt: http://grussvonunterwegs.blogspot.de/