Südsudan/Teil 2

collageSeptember 2013

Wau und Leprakrankenhaus und -kolonie Agok

Heute fliegen wir in den Nordwesten des Landes. Genauer gesagt nach Wau, um dort das Leprakrankenhaus Agok zu besuchen. Mangels ausreichenden Flugverkehrs fliegen wir mit der UN-Maschine des World Food Programms. Knapp über eine Stunde dauert der Flug, meist fliegen wir so niedrig, dass man unter uns die rote Steppe, vereinzelte Hütten und das tiefe Grün der Regenzeit sieht. Je näher wir Wau kommen, weicht das idyllische Bild einer Überschwemmungslandschaft. In diesem Jahr hat es diese Region hart getroffen. „Das ist schlimm, die Leute verlieren durch die Fluten alles, Hab und Gut und oft auch ihre Unterkunft“, sagt Leonore Küster von der DAHW im Südsudan.

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA Das Leben auf das Wesentliche reduzieren

Als wir auf dem Flughafen landen, ist es merklich wärmer als in Juba. Wir werden von den Mitarbeitern abgeholt. Die Landschaft ist Afrika pur: Hohe Gräser und eine staubige, von der Erde rot gefärbte Piste. Dazwischen Menschen auf Fahrrädern, Mopeds oder zu Fuß, die immer irgendwelche Lasten mit sich herumschleppen. Wir beziehen unsere Unterkunft im Gästetrakt des Krankenhauses von Agok. Kein fließendes Wasser, kein Strom, Plumpsklos … das Leben wird hier auf das Wesentliche reduziert.

Unsere UnterkunftBedeutendes Lepra-Schulungszentrum

Die DAHW unterstützt über die Partnerorganisation AAA das Krankenhaus und die nahe Leprakolonie. Agok ist das älteste Projekt der DAHW im Sudan. Anfang der 1970er Jahre wurde die komplette Anlage als bedeutendes Lepra-Schulungszentrum gebaut. Viele deutsche Entwicklungshelfer gingen hier ein und aus. 1979 wurde es an die sudanesische Regierung übergeben. Auf Wunsch dieser waren die Mitarbeiter der DAHW weiterhin aktiv, denn ihr Know how war gefragt. Mitte der 1980er Jahre kam der Krieg und alles änderte sich. Heute ist von der einst blühenden Anlage nicht mehr viel übrig. Die Treibstofftanks und Zapfsäulen verrotten ebenso wie die Generatoren, die einst angeschafft wurden. Zum Schutz der Gebäude, die 2009 von der lokalen Universität renoviert wurden, hat man Familien einquartiert, um Diebstahl zu verhindern. Zu viele Materialien, wie Deckenplatten, Lampen und Kabel, wurden schon unter der Hand weggeschafft.

KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA KONICA MINOLTA DIGITAL CAMERA

Einst Vorzeigeprojekt der DAHW

Wir sehen uns das Gelände an und können die einstige Schönheit nur erahnen. Agok war immer ein Vorzeigemodell gewesen. Die Mitarbeiter und Partner waren stolz auf dieses Projekt. Der Krieg ist vorüber, Südsudan mausert sich zum eigenen Staat. Wir werden sehen, was in der Zukunft aus Agok wird!

Wir duschen mit Wasser aus Eimern, das wir uns über den Körper schütten. Die Erfrischung tut gut. Dann senkt sich die Nacht über Agok. Es regnet in Strömen, die dadurch entstandene Abkühlung ist uns willkommen. Dann wird der Generator angeworfen. Für ein paar Stunden haben wir Licht. Wir sitzen in dem kleinen Essraum und nehmen gemeinsam das Abendessen ein. Die Haushälterin kocht jeden Abend und es schmeckt hervorragend: Spinat mit Erdnusssoße, Spaghetti in wunderbar gewürzter Tomatensoße, Süßkartoffeln, Reis, Okra-Gemüse und für die, die Fleisch essen, auch das. Wir plaudern und liegen bereits gegen 21 Uhr in den Betten. Denn gleich danach wird der Generator abgeschaltet und die Nacht über Agok ist pechschwarz.

Schreiben, solange es der Generator erlaubt!Den ganzen nächsten Tag verbringen wir im Krankenhaus und laufen über die staubigen Wege der Leprakolonie zu den einzelnen Hütten. An den gestrigen heftigen Regenguss erinnern nur noch ein paar Pfützen. Die Mitarbeiter im Krankenhaus freuen sich über unseren Besuch. Sie wissen, da ist jemand, der sich für ihre Arbeit interessiert. Johns Amputationswunde wird gereinigt, er hat nur noch ein Bein und daran hängt ein unförmiger Klumpfuß. Er nimmt sein Schicksal an. „Das ist von Gott gegeben. Da kann ich nichts machen. Ich hoffe nur, dass ich noch ein paar Jahre habe, um meine Kinder wachsen zu sehen.“ Anthony der Schuhmacher freut sich über die Verantwortung, die er den Patienten gegenüber hat. „Da darf nichts scheuern und reiben. Ich bin glücklich, wenn ich den Leprapatienten etwas Gutes tun kann.“

L1130528 (Medium) Johns Amputaionswunde muss gereinigt werden.

Selbst gestalten, selbst formen

In den kargen Krankenzimmern wird Essen an die verteilt, die zu schwach sind, um nach Hause zu gehen. Die offene Wunden haben und nur noch auf allen Vieren kriechen können. Das Krankenhaus und auch die Kolonie werden vom World Food Programm unterstützt. Pro Monat gibt es für zwei Personen 50 Kilogramm Reis. Noch zu viel liegt hier im Argen, als dass die Menschen autark sein können. Der jahrelange Bürgerkrieg hat nicht nur die Landschaft zerstört sondern auch die Seelen der Menschen. Jetzt wird alles besser werden, mit dem neuen und jüngsten Staat der Welt, dem Südsudan. Den können sie jetzt selbst formen und gestalten. Das sind zumindest die Hoffnungen hier, in diesem Land, das immer noch von Gott verlassen erscheint.

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Nicht hadern und vor allem nicht traurig sein

Tereza und Jeminas Lepraerkrankungen wurden geheilt. Bis heute wollen die Familien, sogar Jeminas eigene Kinder, nichts mehr von ihnen wissen. „Sobald bekannt wurde, dass wir Lepra haben, wollten uns alle so schnell wie möglich loswerden.“ Die Verbitterung ist gewichen, denn das ist Vergangenheit, doch der Schmerz über den Verlust der Angehörigen bleibt. „Nicht mal ein Besuch, in den ganzen langen Jahren“, sagt Jemina. Trotz allem – die zwei sind glücklich, denn „wir leben unter Gleichgesinnten und werden für den Rest unseres Daseins hier bleiben, ohne Diskriminierung.“ Es scheint, dass sich die beiden älteren Frauen mit ihrem Schicksal versöhnt hätten. Nicht klagen, nicht hadern und vor allem nicht traurig sein, lautet ihre Devise.

L1130620 (Medium)Tereza muss ein paar Wochen auf der Krankenstation bleiben. Ihre Hütte draußen, ein paar Hundert Meter entfernt, hat sie fest verschlossen. „Die Wunde an ihrem Fuß hat sich wieder entzündet“, sagt Krankenpfleger Thomas, „und das ist für sie gefährlich. Sie muss beobachtet und behandelt werden.“ Tereza kriecht auf allen Vieren ins Sprechzimmer, zieht sich hoch auf den Plastikstuhl.
L1130607 (Medium)Die Wartezeit von mehreren Stunden macht ihr nichts aus, sie ist hier mit Gleichgesinnten und ab und an plaudert sie mit ein paar Freundinnen. Krankenpfleger Thomas ist seit 1979 hier und kehrt gerade mit seinem Moped von einer Krankenvisite zurück. „Ich habe viele Mitarbeiter der DAHW kennen gelernt“, erinnert er sich und lächelt. Es sind gute Erinnerungen, die er hat. Und darüber ist er froh. Sein halbes Leben war von Krieg und Entbehrungen geprägt, aber: Trotz allem ist er glücklich.

L1130639 (Medium) Krankenpfleger Thomas arbeitet seit 1979 in Agok

Fotos: Enric Boixadós

Über sl4lifestyle

Journalistin aus Leidenschaft, Tierschützerin mit Hingabe und neugierig auf das Leben. Ich stelle Fragen. Ich suche Antworten. Und ab und zu möchte ich die Welt ein Stückweit besser machen ... Manchmal gelingt es!
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9 Antworten zu Südsudan/Teil 2

  1. Inge Vorspel-Hartard schreibt:

    Wie schön, nach 34 Jahren etwas Konkretes aus Agok zu hören – und sogar mit Fotos. Danke, danke…
    Ich hab mit meiner Familie 4 Jahre in Agok gelebt, in der Aufbauphase.
    Herzliche Grüße
    Inge

    • sl4lifestyle schreibt:

      Inge, so ein Zufall. Waren Deine Eltern oder Ihr selbst Entwicklungshelfer?

      • Inge Vorspel-Hartard schreibt:

        Wir waren Entwicklungshelfer … ich mag dieses Wort nicht, weil’s nicht stimmig ist, aber das ist ein anderes Thema…
        Mein Mann hat die Schreinerei geleitet und ich hatte – bis zur Fertigstellung des Hospitals – die Ambulanz für nicht lepröse Patienten übernommen.

      • sl4lifestyle schreibt:

        Ich war EH in Benin! Was für ein schöner Zufall, Dich hier zu treffen. Ich arbeite jetzt bei der DAHW. Schönes Wochenende!

  2. Inge Vorspel-Hartard schreibt:

    In welcher Funktion bist du jetzt fürs DAHW tätig? Und wo?
    Und Danke. Wochenende war prima…

  3. Inge Vorspel-Hartard schreibt:

    Hallo Sabine, da trifft sich was …
    Ich wohne im Pfälzer Wald, in einem winzigen Dorf: Eußerthal…. seit mehr als 30 Jahren.
    Wir zogen direkt von Wau bzw. Agok hierher…
    Ich arbeite ehrenamtlich als Hospiz- und Trauerbegleiterin im ambulanten Hospiz in Landau/Pfalz.

    Das Thema meiner Abschlussarbeit zur großen Qualifikation für Trauerbegleiter :
    Von Tod und Trauer – und dem Leben
    in einem Lepra-Dorf im Süd-Sudan

    Dazu möchte ich gern eine Einleitung schreiben und bin deshalb auf der Suche nach Berichten über die Anfänge in den 1970er Jahren. Ich denke, das begann 1973.
    Und so stöbere ich zur Zeit im Netz rum und suche nach Berichten über Agok.
    Wir (meine Familie) kamen erst im Januar 1977 nach Agok. Und alles, was nicht in meinem Tagebuch von damals steht … nun ja … könnte eine Auffrischung gebrauchen.
    Meine Frage und Bitte an dich:
    Habt ihr beim DAHW noch Berichte von der Aufbauphase, dem Leben der ersten Entwicklungshelfer (Paul, Werner, Bernhard, Monika usw) in Zelten – 3 Jahre lang – und von der großen Überschwemmung damals?
    Also Info-Material, das du mir schicken könntest, gerne auch an meine Email-Adresse ?

    Das wäre phänomenal…!!!
    LG aus dem Wald
    Inge

  4. Inge Vorspel-Hartard schreibt:

    Ich danke dir

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