Zu Besuch in Deutschlands einzigem Lepramuseum
Zwei lebensgroße Figuren begrüßen die Besucher des Lepramuseums in Münster. Unheimlich sehen sie schon aus in ihren weiten grauen Mänteln und den groben, entstellten Gesichtern, die ihnen die Krankheit gegeben hat. Fast echt wirken sie in der originalgetreuen Umgebung des Hauses, das erstmals 1333 in den Urkunden der Stadt Münster als Leprosarium Erwähnung fand.
Um als solche erkannt zu werden mussten Leprakranke über ihrer Kleidung einen Siechenmantel tragen. Er trug somit zu ihrer Isolierung und Stigmatisierung erheblich bei. Nicht fehlen durfte die Siechenklapper, durch deren scheppernden Lärm die Betroffenen gesunde Personen vor sich warnen mussten. Das Instrument bestand aus drei losen miteinander verbundenen Holzstücken und verursachte die typische Melodie der Leprakranken, wenn sie auf den Straßen unterwegs waren.
Dr. Ralf Klötzer ist seit 2005 Vorsitzender der Gesellschaft für Leprakunde sowie des Lepramuseums. Er ist Historiker aus Leidenschaft und kam durch einen Auftrag des Stadtarchives im Jahre 1992 erstmals mit der Geschichte der Seuche in Berührung. Eigentlich schon viel früher, denn als Kind, so erinnert er sich, hat er aus alten Bettlaken Streifen gerissen und sie als Binden und Wundmaterial in die armen Ländern geschickt. „Sie waren damals schon für Leprapatienten bestimmt. Dieses kindliche Wissen hat mich dann nicht mehr losgelassen.“
Der Stadtteil Kinderhaus liegt rund 4 Kilometer nördlich des Stadtzentrums von Münster. In idyllischer, ländlich geprägter Umgebung mit Schrebergärten und vielen Bäumen stand einst das Leprahospital, genannt „Kinderhus“ der Stadt Münster. Davon sind noch die Umgehungsmauer sowie das Armenhaus mit dem Provisorenhaus übrig, in dem sich heute neben dem Heimat- auch das Lepramuseum befindet. „Es ist das einzige Lepramuseum in ganz Deutschland“, betont Dr. Klötzer. Er zeigt auf zwei zugemauerte Fenster in der Mauer. „Hier konnten die Kranken nach draußen sehen und das Geschehen auf der Straße beobachten.“ Gleich neben dem früheren Hospital stehen die frühere katholische Gertrudenkirche, heute Josefskirche genannt und ein Heiligenhäuschen mit der Heiligen Gertrud als Schutzpatronin der Leprakranken. Davor, auf der früheren Dorfhauptstraße Kinderhaus, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein.
„Das Hospital war ein Krankenhaus, aber ohne Aussicht auf medizinische Heilung. Hier wurden die Leprakranken gepflegt, ihre Wunden behandelt und sie bekamen zu essen“, sagt der gebürtige Frankfurter. „Die Ankömmlinge mussten ihren Besitz mitbringen. Dazu gehörten ein eigenes Bett, Kissen und Laken.“
Die sogenannten Leprosarien waren – mit eigenem Priester für die Kranken – seit 1179 für jede Stadt in der Christenheit vorgeschrieben. Im 16. Jahrhundert belief sich ihre Zahl auf rund 1.000 in Deutschland. „In der Stadt Münster gab es noch ein früheres Leprosarium, das vor dem ‚Kinderhus‘ gebaut wurde“, ergänzt der 56-jährige Wissenschaftler. „Anschließend entstand auf dem Gelände ein Werk- und Erziehungshaus für Jugendliche, das jedoch ab 1684 bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als Armenhaus der Stadt Münster diente.“
Zum Weltlepratag im Januar 1986 öffnete schließlich das Lepramuseum seine Pforten. Sechs Räume zeigen die Geschichte und Gegenwart der Krankheit. Außerdem wird auf die Geschichte der Leprahospitäler, auf die Darstellungen der Lepra in der Kunst eingegangen sowie Diagnose und Therapie erklärt. Außerdem gibt es eine übersichtliche Darstellung der Leprahilfswerke sowie der Dokumente der Gesellschaft für Leprakunde.
In unmittelbarer Nähe befindet sich das münstersche Büro der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. „Besser kann es nicht sein“, sagt DAHW-Mitarbeiter Jürgen Belker-van den Heuvel. „Die Kooperation mit dem Museum und der Gesellschaft ist uns sehr wichtig. Das kulturgeschichtliche Erbe mit seiner Medizingeschichte ist für die Erarbeitung unserer aktuellen Aufgaben prägend.“ Das Museum zeigt die weltweite Arbeit der DAHW mit einer eigenen kleinen Ausstellung. Ideen zur Zusammenarbeit gibt es viele. Da gibt es zum Beispiel das so genannte „Freitagspferd“. Nach historischem Vorbild zieht ein Ross durch die Stadt, und es werden Spenden gesammelt. Wie früher auch, als dadurch die Pflege der Leprakranken finanziell unterstützt wurde.
Das Ereignis findet zwei- bis dreimal im Jahr statt. „Wir haben gute Kontakte zu mehreren Pferdehalterinnen“, sagt DAHW-Mitarbeiter Franz Tönnes. „Nicht nur wir sind mit dem Pferd unterwegs, sondern auch die Verantwortlichen des Reiterhofes. In der Stadt kommt unsere Initiative sehr gut an.“ Das nächste „Freitagspferd“ findet am 8. Mai 2015 statt. „Der Erlös kommt je zur Hälfte der DAHW und dem Lepramuseum zugute.“
Zurück bei den Vitrinen schiebt Dr. Klötzer eine Milchglasscheibe zurück. Zu sehen sind gesunde und erkrankte Nerven sowie ein befallener Fuß und eine Hand aus der Pathologie. „Das ist konkretes Anschauungsmaterial, das nur auf ausdrücklichen Wunsch gezeigt wird.“ Beliebter ist da der Heilkräutergarten vor dem Haus. Mit dem Sud der Pflanzen wurden früher Leprapatienten behandelt. „Ein gewisser Placebo-Effekt ist bestimmt nicht von der Hand zu weisen. Bei manchen hilft ja schon die Vorstellung, wieder gesund zu werden“, lacht Dr. Klötzer.www.lepramuseum.de
Veröffentlicht in der Huffington Post am 21. März 2015.