Aus San Antonio, Texas berichtet sl4lifestyle-Gastautor Till Mayer.
Vietnam, Irak oder Afghanistan: Viele US-Soldaten sind durch Kriege schwer traumatisiert. Manche finden ihren Frieden nur durch speziell trainierte Hunde.
Die Hände sind unruhig, Anthony Pottebaum kämpft. Es sind einfach zu viele Menschen hier in dem Restaurant in der Suburbia von San Antonio. Zu viele Stimmen schwirren quer durchs Lokal, zu wenig Platz, die Bedienung zwängt sich durch die Tischreihen.
Pottebaum schnauft, hält die Hände vor das Gesicht. Das ist der Einsatz für Tucker. Der Hund legt die Pfote auf das Bein des Irak-Veteranen, legt seinen Kopf schräg und blickt seinen Herrn an. „Danke, Kumpel“, sagt der 44-Jährige und tätschelt den Schädel. Dann nimmt Ehefrau Rowena seine Hand. Das hilft.
Es ist eine ungewöhnliche Gruppe, die da am Tisch sitzt. Das Leben hat es ihnen nicht leicht gemacht. Anthony Pottebaum, seine Frau Rowena, die durch eine Muskelerkrankung auf einen Rollstuhl angewiesen ist, und Kendra Ridings, die Begleithunde wie Tucker trainiert.
Ridings ist die Chefin von Happy Pal Dogs Training, und sie weiß aus eigener Erfahrung, dass für traumatisierte Menschen Tiere eine wichtige Hilfe sein können. Nach einem Gewaltverbrechen erlitt sie selbst ein schweres Trauma und bekam einen „Service Dog“ zur Unterstützung.
Einsatz im Irak
Anthony Pottebaum sieht aus wie einer, den so schnell nichts umwirft. Ein wenig bullig gebaut, der Kopf bis auf einen schmalen Rundbart rasiert. Leicht wiegender Gang, den er seinen Cowboy-Boots verdankt. Er sieht aus wie ein kerniger Kerl. Doch der Mann, der 2007 aus dem Irak-Krieg heimkehrte, ist verwundet. Der schwarze Mischlingshund ist ein überlebenswichtiger Begleiter für ihn.
Pottebaum macht nicht mehr Worte als nötig. Über seinen Einsatz im Irak, wo er für die US-Armee Trucks und Busse fuhr, berichtet er in knappen Sätzen. Nachts kamen die Angriffe auf das Camp. Mörser-Granaten zischten ins Lager. Die Einschläge so nah, dass der Boden wankte und die Barackenwand zitterte. Pottebaum wurde nicht durch eine Explosion verschüttet, er fing sich auch keine Splitter ein. Doch der Dauerbeschuss hat psychische Schäden verursacht, die wohl sein ganzes Leben prägen werden.
Seine Militärzeit endete schließlich durch einen Unfall: Bei einer Übung sollte Pottebaum eine Betonwand bezwingen, doch dem Soldaten rutschte das Seil durch die Hände. Er stürzte, krachte mit dem Kopf so unglücklich gegen die Barriere, dass sein Gehirn dauerhaften Schaden nahm.
Panikattacke in Menschengruppe
Zurück in den Frieden kehrt Pottebaum als ein Mensch mit Behinderungen. Erinnern, konzentrieren, das fällt dem Veteranen heute schwer. Zudem leidet er oft unter starken Rückenschmerzen. Seinen schwersten Schaden wollte er zunächst nicht wahrhaben. „Erst nach einer Panikattacke in einer Menschengruppe merkte ich endgültig, dass da etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist“, sagt Pottebaum.
PTSD (für posttraumatic stress disorder, Posttraumatische Belastungsstörung) sind vier Buchstaben, die Pottebaum nur ungern ausspricht. „Sie schieben einen in eine Schublade“, findet er. Vor allem erklären sie seiner Ansicht nach nicht, um was es bei einem Kriegstrauma geht. Er spricht lieber von „Military Issues“.
Hund Tucker macht sich keine Gedanken, mit welchen Worten man die seelischen Verwundungen eines Menschen umschreibt. Aber er fühlt und erkennt sie, und er ist darauf trainiert zu reagieren, wenn Probleme auftreten. Ein „Service Dog“ kann viele Aufgaben übernehmen: „Er kann ein Nottelefon bringen. Nachts mit der Schnauze einen Lichtschalter betätigen, wenn seinen Menschen Albträume quälen“, erzählt Kendra Ridings. Der Hund könne in vielen Fällen am Körpergeruch des Veteranen erkennen, wenn dieser vor einer Panikattacke stehe oder Medikamente brauche. „Er kann den Rollstuhl zu einem ehemaligen Krieger mit Behinderung schieben. Er kann ihm beim Aufrichten helfen.“ „Und er kann der beste Kumpel beim Fernsehen auf dem Sofa sein“, sagt Pottebaum.
Freiraum sichern
Vor allem kann Tucker Ruhe geben. Schon allein dadurch, dass er Körperkontakt zum Veteranen sucht, wenn dieser mit den Folgen seiner Traumatisierung kämpfen muss. Er habe Probleme in Menschenmengen, sagt Pottebaum. „Tucker geht deswegen immer hinter Anthony, um ihm dort Freiraum zu sichern“, erklärt Kendra Ridings.
Am nächsten Tag geht der Veteran auf Tour durch San Antonio. Pottebaum ist wie ausgewechselt. Weniger Menschen sind sichtlich gut für ihn. Auf der Rückbank sitzt Tucker mit der Ruhe eines Buddhas. Dann geht es zum Boot-Store. „Pflichtprogramm in Texas“, lacht Pottebaum. Der Veteran geht voran, Tucker trottet hinter ihm. Der Hund hat sich völlig auf den 44-Jährigen eingestellt. Die beiden passen gut zueinander, ein harmonisches Team.
Selbst beim Anprobieren der Stiefel ist Tucker ein kritischer Beobachter. Kritisch vor allem, weil es seit geraumer Zeit keinen „Treat“ gegeben hat. Tucker gibt die Pfote, Pottebaum kramt das Leckerli hervor. Da wird jedes Kundenherz im Laden schwach. Drei junge Frauen wollen Tucker streicheln. „Manche Diensthundebesitzer mögen das nicht. Sie sagen, ihr Hund arbeitet, und es ist kein Spiel. Wenn ich vorher gefragt werde, ist es für mich kein Problem“, sagt Pottebaum.
„Jeden Tag bringen sich 22 ehemalige Soldaten um, weil sie mit den Folgen ihres Einsatzes nicht mehr klarkommen. Hunde wie mein Tucker könnten vielen von ihnen helfen“, sagt der Veteran. Deswegen macht er etwas, das ihn jedes Mal aufs Neue Überwindung kostet: Er erklärt Mitmenschen, warum er Tucker braucht. „Wenn Sie jemanden kennen, der Probleme hat, seit er von seinem Einsatz zurück ist, geben Sie ihm doch diese Karte“, sagt er dann und reicht eine Visitenkarte von Ridings Hundeschule weiter, weist auf Programme für Veteranen hin.
Posttraumatische Belastungsstörung
Der Manager des Boot-Stores will mehr erfahren. Sein Bruder ist seit einigen Monaten aus Afghanistan zurück. „Ich erkenne ihn kaum wieder. Er ist völlig in sich zurückgezogen, manchmal aggressiv. Seine Ehe steht schon auf dem Spiel“, sagt der Geschäftsmann mit dem Cowboyhut. Es fällt ihm schwer, die Sätze zu einem Fremden zu sagen.
Draußen vor dem Geschäft scheint die Sonne, Pottebaum rückt die dunkle Brille zurecht. „Es ist für einen traumatisierten Veteran nicht so einfach, einen Hund zu bekommen. Der Staat gibt zwar eine Unterstützung. Aber Wartezeiten bis zu einem Jahr sind oft üblich. Das kann dann leider einfach schon zu lange sein. Selbst die Hundeausbildung zu bezahlen, kann teuer kommen.“
Vor allem muss die Army zuerst anerkennen, dass PTSD vorliegt. Keine Anerkennung bedeutet auch keine Unterstützung, keine Therapie, keine Berufsunfähigkeitsrente – und keinen Hund wie Tucker. Dafür vielleicht ein Platz an einer Autobahnbrücke mit einem Pappschild: „Ich habe im Irak gedient und bitte um Unterstützung“. Keine Seltenheit: Das „Department of Veterans Affairs“ schätzt, dass 131.000 Veteranen obdachlos sind.
Ein Mann mit Kind kommt auf den Veteran zu. „Kann mein Junge den Hund streicheln?“, fragte er. Pottebaum nickt, und der Junge stürmt geradewegs auf Tucker zu. „Nicht von vorn mit der Hand direkt zur Schnauze. Das mag er nicht“, mahnt der Veteran, „Tucker hat auch sein Päckchen zu tragen, sein Vorbesitzer muss ihn geschlagen haben.“

Journalist Till Mayer
Autor Till Mayer setzt sich seit Jahren mit Langzeitfolgen von Kriegen auseinander. Im Erich-Weiß-Verlag erschienen dazu die Bildbände Abseits der Schlachtfelder und vor wenigen Monaten Barriere:Zonen. Die Ausstellung Barriere:Zonen kann von Universitäten, Schulen und Organisationen geliehen werden: www.barriere-zonen.org.
Die Homepage des Journalisten: www.tillmayer.de
Fotos: Till Mayer