Ein Hund zu sein ist wohl das Allerschlimmste, was einem in Afghanistan passieren kann. Die Tiere gelten als unrein. So steht es im Koran (Esel übrigens auch!). Dieser Anblick war wohl der traurigste Moment meiner Reise. Viel trauriger als der von Kindern, die nie eine Schule besuchen werden, trauriger als der von den vielen Opiumsüchtigen an einer Brücke in Kabul, trauriger als der von den vielen rechtlosen Frauen im Hochgebirge, trauriger als der von den vielen Kranken ohne Aussicht auf Behandlung oder Genesung.
6 noch blinde Hundewelpen liegen in der Abwasserrinne vor den Häusern mit den mächtigen Eisentoren, hohen Mauern, den Stacheldraht obenauf und den privaten Wächtern mit den Kalaschnikows vor dem Eingang. Hier lebt die sogenannte Mittelschicht. Die Bourgeoisie von Kabul. Keiner beachtet die Fellbündel, die ganz eng beisammen kauern und sich wärmen.
Tagsüber ist es noch heiß in Kabul, doch nachts schon ziemlich kalt. Die Kleinen befinden sich unmittelbar vor dem Eingang einer deutschen Hilfsorganisation. Als ich die Gründerin frage, ob sie ihnen helfen könne, winkt sie ab: „Damit fangen wir gar nicht erst an. Hunde übertragen Krankheiten, Würmer, Lungenwürmer.“ Sie beachtet sie nicht.
Ich frage mich, wie kann man so werden? Sie erzählt mir, Tiere hätten ihr noch nie viel bedeutet und dass sie auf einem Bauernhof im Westen Deutschlands groß geworden sei. „Wenn sie durchkommen, dann machen sie eine Karriere als Straßenhunde“, ergänzt sie.
Drinnen im Garten bellt der junge Schäferhund, der gekauft wurde, um das Anwesen zu beschützen. Wenn Arbeiter oder Besucher kommen, wird er in einen engen Verschlag gesperrt. Wie jetzt auch. Nachts darf er frei durch den Garten laufen. Einen Namen hat er nicht. „Ich erinnere mich nicht, ihn mal gerufen zu haben“, sagt der Ehemann. „Als wir ihn gekauft haben, hieß er Lucky. Ich habe ihn noch nie so genannt. Für was soll er einen Namen tragen?“
Ich gehe auf Lucky zu und rufe ihn. Er bellt, springt an den Draht und wedelt mit dem Schwanz. „Er erinnert sich vielleicht noch an seinen Namen“, sagt der Mann.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mich ähnlich hilflos fühlte. Der namenlose bildschöne Schäferhund, der nie menschliche Zuneigung erfahren wird und die kleinen Welpen draußen vor dem großen Tor, die zum Sterben verdammt sind.
Vielleicht wird man so nach Jahrzehnten in dem Land am Hindukusch: Gefühllos, kalt und abgestumpft den Tieren gegenüber. Vielleicht muss man so werden, um selbst in Afghanistan überleben zu können.
Anmerkung: In Afghanistan gibt es weder Tierschutzorganisationen noch Tierschützer. Tiere haben keine Rechte. Aufgrund der anhaltenden Kriegssituation wird das auch in Zukunft so bleiben.
Traurig…
Das Leben in Afghanistan ist schlimmer, herzloser und brutaler, als man sich vorstellen kann. Wir sollten dankbar und froh sein, hier im reichen und insgesamt harmonischen Deutschland leben zu dürfen.
Das wird mir durch die Reise auch sehr bewusst, lieber Carlheinz! Mich freuen nur all die Möglichkeiten, wie man von unserem Land aus agieren und handeln kann. Wir haben Entscheidungsfreiheiten, die andere nicht haben und nie haben werden.
Ich lebe nach dem Motto. Ein Mensch der kein Tier lieben kann, der kann sich auch selbst nicht lieben…
Ich bin erschüttert. Nicht mal einen Namen hat der Haushund.
So ist es! Das war auch das, was mich am meisten traurig machte: Ein namenloses Haustier!