Ciao Roma! Nicht nur Italienfans werden ihn lieben. Den neuen Thriller von Olivia Kleinknecht.
Olivia, warum haben Sie „Der Regisseur“ geschrieben?
Der Regisseur ist ein moderner Don Giovanni. Das Buch ist so strukturiert wie Da Pontes Libretto zu Mozarts Don Giovanni. Der Protagonist denkt, er kann und darf alles tun, wird immer übermütiger, überschreitet sogar die Grenze ins Verbrechen und dann geht auf einmal etwas und dann immer mehr schief. Die Situation gerät außer Kontrolle. Don Giovannis Untaten kommen heraus. Seine Opfer entdecken, dass er nicht nur ein Frauenverführer, ist, dem jede Lüge, jeder Betrug recht ist, sondern auch ein gemeiner Mörder. Don Giovanni wird bestraft, er brennt am Ende in den Feuern der Hölle. „Der Regisseur“ nimmt ein etwas moderneres, aber auch kein gutes Ende.
Was hat sie an Mozarts Don Giovanni fasziniert?
Was mich an Don Giovanni immens erstaunt hat: die Verführten, seine Opfer, weinen ihm noch nach. Sie stellen ihn zwar, wollen, dass er zur Rechenschaft gezogen wird, sie lieben ihn aber noch. Und insgeheim fanden sie keinen anderen Mann derart verführerisch wie ihn. Jeder, der nach ihm kommt, hält dem Vergleich nicht stand.
Hier nun habe ich mich gefragt, wer ist dieser Don Giovanni eigentlich? Und warum verfallen ihm alle derart? Er zieht gewaltig an. Und stößt dann wieder ab. Er will nichts Gutes, er will Menschen nehmen, sie benutzen und wieder wegwerfen, es ist allen bekannt, und doch ist er immens anziehend. Die Opfer gehen wissend in die Falle.
Im Regisseur gehe ich dieser Frage nach, wer Don Giovanni eigentlich ist. Der Regisseur entwickelt eine Theorie, ein System der Verführung, das auch Don Giovannis Erfolg erklärt. Aus diesem System wird dann eine Theorie des Glücks, und so sieht man, der Regisseur und auch Don Giovanni sind Getriebene, die darunter leiden, dass es eigentlich keine solide Erfüllung gibt, kein lang andauerndes Glück. Kaum ist der Moment des Glücks angebrochen, ist er auch schon wieder vergangen. So hastet Don Giovanni von einer Frau zur nächsten und findet nie, was er sucht. Ebenso jagt der Regisseur ständig neue Geliebte. Beide richten nur irreparablen Schaden an.
Was hat es in Ihrem Thriller mit der Suche nach dem Glück auf sich?
Don Giovanni hat ein Problem erkannt (die Suche nach dem Glück ist alles andere als einfach), er ist bei der Lösung aber fatal in die Irre gelaufen. Ebenso „Der Regisseur“. Auch die Opfer sind lediglich auf der Suche nach ein bisschen Glück und daher leichte Beute.
Fazit ist, das System der Verführung funktioniert. Es ist allerdings teuflisch. Am Ende überwiegt der Schaden. Für ein paar tolle Tage handelt man sich ein verpfuschtes Leben oder gar den Tod ein.
Sie bieten dem Bösen die Stirn?
Ja, es geht natürlich im „Der Regisseur“ auch um das Böse. Das Böse richtet nur Schaden an, wenn es verführerisch daherkommt, wenn man ihm verfällt. Das Böse wirkt dann, wenn man es nicht gleich erkennt. Es kommt als etwas daher, das überaus erstrebenswert ist, als großartige Versprechung. Es agiert immer hinter einer schönen Maske.
Ihr Fazit?
2002 erschien der Regisseur im Verlag Ludwig (Kieler Edition). In letzter Zeit haben sich Fälle wie der Harvey Weinsteins gehäuft. Es gibt die MeToo-Bewegung. Alle diese Verführer sind größere oder kleinere Don Giovannis (Weinstein ist eher harmlos verglichen mit dem Regisseur, der schon eine dämonische Dimension hat). Auf die Weise hat das Thema, eigentlich ein ewiges Thema, wieder neue Frische erhalten. Und so habe ich „Der Regisseur“ noch einmal selbst herausgebracht.
Vielen Dank.
Ein Auszug über die Glückstheorie des Regisseurs, Seite 66:
„Vittorio Angelotti befiel Müdigkeit. Danach Unlust. Der Gedanke an das bevorstehende Abendessen mit Mia munterte ihn kaum auf. Grübeleien quälten ihn. Die fundamentale Frage, die das Leben ständig von neuem zu stellen schien, war die, wie sich ein seelisches Hoch verlängern, oder immer wieder aufs Neue hervorrufen ließ. Er war davon überzeugt, dass die ihm zur Verfügung stehende seelische Energie eine konstante Größe war, die Ausschläge nach oben mit Ausschlägen nach unten ausglich, eine tragische Summe, die auf das höchste Glück den tiefsten Absturz folgen ließ. Dennoch konnte er nicht umhin, immer neue, noch aufreizendere Vergnügungen zu suchen. Wenn sich die Dinge so verhielten, wie er glaubte, dann musste es in letzter Konsequenz ein äußerstes Glück geben, dem eine negative Folge zugeordnet war, die außerhalb des Erträglichen lag, also die eigene Vernichtung bedeutete. Jedes folgerichtige Verlangen nach Glück musste schließlich dorthin führen. Doch er kannte niemanden, der bewusst auf dieses höchste und letzte Glück zustrebte, in dem sich die eigentliche Natur jeden Glückstrebens auf paradoxe Art enthüllte. Vittorio Angelotti rief barsch nach Maria, um ihr Anweisungen für das Abendessen zu geben. Als sie hereinkam, sah er durch die geöffnete Tür Marco im Korridor stehen, die Schultasche unter dem Arm. Der Junge sah aus, als warte er auf ein Zeichen von ihm, bevor er ging. Auf seinen fragenden Blick antwortete Vittorio Angelotti mit einem tonlosen ‚Ciaò‘.“
Neugierig geworden auf die flimmernde Sommerhitze Roms und auf einen Mann, der Menschen wie Marionetten manipuliert? Was gibt es für ihn als letzten Kick? Davon erzählt die Autorin und setzt den perfiden Machenschaften rund um die römische Filmindustrie gekonnt ein Denkmal.
Stimmen:
„Einzigartig, unverblümt, provokant, brutal.“
Kulturnews
Olivia Kleinknecht: Der Regisseur, 438 Seiten, 12,99 Euro (über Amazon erhältlich. Hier.)
Über die Autorin: Natascha Olivia Kleinknecht, 1960 in Stuttgart geboren, studierte Rechtswissenschaft in München und promovierte am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz zum Doktor der Rechte. Weitere Studien an der Kunsthochschule Accademia delle Arti del Disegno in Florenz folgten; die Aquarelle und Ölbilder der Künstlerin wurden bei Ausstellungen in Lausanne, Florenz und Stuttgart gezeigt.
Seit 1994 ist sie freie Autorin und verfasst Romane und Sachbücher. Sie publizierte u.a. bei der Frankfurter Verlagsanstalt, S. Fischer und Edition Epoca.
1998 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Olivia Kleinknecht ist Mitglied des PEN-Zentrums, des A.d.S, des Syndikats e. V. und Associate Member der ESSWE. Sie lebt in Ludwigsburg und Zürich.
Hat dies auf Olivias Bücher rebloggt und kommentierte:
Interview. Die Hintergründe.
Warum hast Du Dich eigentlich so mit der italienischen Filmindustrie auseinandergesetzt? Gibt es eine Affinität dazu? Genauso hätte es ja auch die Szene in USA oder England sein können?