Gelesen habe ich das Buch während meines Segeltörns in der Karibik. Ich hatte Lust auf einen Roman aus dem hohen Norden. Irgendwie seltsam, sich in den Tropen mit einer Geschichte zu befassen, die fast ausschließlich im Schnee spielt. Ich mag Schnee und war während der großen Kältewelle in Deutschland gerade auf Reisen. Doch ich habe mich mitreißen lassen, war mit Maria auf ihrem Fahrrad unterwegs, zu den Gebärenden, den halbtoten Schwangeren, denen nur sie noch helfen konnte. Und später habe ich einen Blick gewagt in die Beziehung von Lahja und Onni, die so verstrickt und emotionslos, oder vielleicht gerade deswegen mit so einem großen Gefühl beladen war.
In einer Kleinstadt im Norden Finnlands liegt Lahja im Jahr 1996 auf dem Totenbett. Sie blickt zurück auf die Kindheit mit ihrer Mutter Maria, einer emanzipierten und unkonventionellen Hebamme, die sich entschied, sie alleine groß zu ziehen. Lahja erinnert sich an ihre Leidenschaft, die sie zum Beruf machen konnte: Das Fotografieren. Und sie denkt vor allem an ihren Ehemann Onni, der ihr zwar die lang vermisste familiäre Geborgenheit gab, doch jegliche körperliche Nähe verweigerte. Nach Jahren unterdrückter Gefühle ließ sie sich zu einer unverzeihlichen Tat hinreißen. Erst nach ihrem Tod findet ihre Schwiegertochter Karina auf dem Dachboden einen Brief, der die schockierende Wahrheit ans Licht bringt.
Über das ganze 20. Jahrhundert mit all seinen Erschütterungen spannt dieser epochale Familienroman. Kunstvoll verwebt Tommi Kinnunen darin die Schicksale von vier Menschen, deren Träume größer sind als die Möglichkeiten, die das Leben offeriert.

Kuusamo im Norden Finnlands.
Zum Autor: Tommi Kinnunen stammt aus einer Fotografenfamilie aus dem nordfinnischen Kuusamo. Es waren denn auch Familienfotos, die ihn zu seinem Romandebüt inspirierten. Sein Werkzeug war nicht die Kamera, sondern es waren die Worte, wie er sagt. Der Erfolg überraschte ihn selbst am meisten. Das Buch war ein ebenso großer Leser- wie Kritikererfolg und führte wochenlang die finnische Bestsellerliste an. Und außerdem: Tommi öffnet für uns sein Familienalbum. Hier sind ein paar seltene Fotos von seiner Urgroßmutter, die auch Hebamme war, der Kleinstadt, in der er aufwuchs und von seinem Großvater.
Tommi Kinnunen: Wege, die sich kreuzen, 336 Seiten, 20 Euro.
Der Buchhändler Eures Vertrauens hat bestimmt das Buch vorrätig oder kann es Euch bestellen. Unterstützt einfach mal die kleinen Buchhandlungen in Eurer Nähe!
Pingback: Einbahnstraßen des Lebens | Frau Lehmann liest