„Erst als die Speisen auf dem Tisch standen konnte er anfangen, sich zu entspannen. Die weißen Tofuwürfel lagen wie kleine Kostbarkeiten im satten, öligen Rot der Chilisoße. Die Auberginen hatten genau die richtige, cremig-weiche Konsistenz, er sah es sofort, der Pok Choy, leicht mit Knoblauch gedämpft, hatte seine Frische behalten, er schmeckte sie mit den Augen, fühlte sie auf der Zunge, bevor er das Gemüse überhaupt probiert hatte.
Und die Melone! Die vielen Schattierungen ihres Grün! An manchen Stellen zart und hell, fast durchsichtig, an anderen dunkel und saftig, wie die Farbe der Reisfelder kurz vor der Ernte. Er liebte ihre Bitterkeit. Er liebte diesen dominanten Geschmack, der sich nicht anbiederte, der sich nicht sofort vom nächstbesten Aroma vertreiben ließ, der in seinem Mund nachklang, bis die Wucht des Sichuanpfeffers ihn endgültig überlagerte.
Er probierte ein Stück vom Mapo-Tofu, eine seiner Lieblingsspeisen. Sofort füllte die rauchige, erdige Würze seinen Mund aus, ihr folgte der typische Geschmack des Sichuanpfeffers, der Zungenspitze und Lippen demnächst betörte, dann ein wenig betäubte und dessen einmalige Schärfe er im Rachen und bis in die Ohren spürte.“
Aus dem Buch „Das Flüstern der Schatten“ von Jan-Philipp Sendker