Vorab durfte ich schon mal den neuen Thriller von Luca d’Andrea lesen. Nachdem mich der Vorgänger vergangenen Winter in Thailand schon mit Spannung erfüllt hatte, beschloss ich, den Neuen mit auf meine Reise nach Bali und Flores zu nehmen. Bevor ich Euch aber jetzt „Der Wanderer“ in aller Ausführlichkeit vorstelle, hier erst mal ein Interview mit dem Schriftsteller. Der Italiener lebt in Bozen und schreibt Krimis, die in Südtirol spielen. Nachdem die Dolomiten zu meinen bevorzugten Reisezielen zählen, bin ich von den Locations eh angetan. Denn was gibt es Schaurigeres, als sich eine Tote an einem Bergsee, der so aussehen könnte, wie der in A oder B, vorzustellen oder sich in wortkarge Bauern hineinzuversetzen, die ich ab und an genau so auf meinen Wanderungen getroffen habe.
Das Buch habe ich schon gelesen. Seine Besprechung erscheint hier in Kürze.
„Meine Hauptinspirationsquelle für meine Thriller sind meine Mitmenschen.“
Im Gespräch mit Thrillerautor Luca d’Andrea.
„Der Wanderer“ ist Ihr dritter Thriller. Was fasziniert Sie so an diesem Genre?
Für mich ist Schreiben wie das Erstellen eines buddhistischen Mandalas. Stück für Stück, ganz geometrisch, konstruiert man einen Spiegel der Welt in Miniaturform – was bedeutet, dass alles deutlicher im Fokus steht und leichter zu begreifen ist. Das Mandala des Thrillers ist selbstverständlich schwarz-grau, wodurch das Dunkel, das wir in uns tragen, wunderbar in Szene gesetzt werden kann.
Wie recherchieren Sie für Ihre Thriller, interviewen Sie Polizisten, Justizbeamte, Gerichtsmediziner?
Ich kenne tolle Polizisten, Carabinieri, Ärzte, Juristen, die sehr gerne meine Fragen beantworten. Und manchmal sind meine Fragen wirklich … merkwürdig. Zumindest in deren Augen. Aber die Realität des Alltags, die wahren Ermittlungen sind oft ganz anders als das, was wir in Thrillern lesen. Eine echte Morduntersuchung besteht aus Akten, die von einem Schreibtisch zum nächsten wandern, aus stundenlangen Beschattungen, Verhören, die zu nichts führen. Bürokratie, Bürokratie und noch mal Bürokratie. Ein Thriller, der hundertprozentig der Realität entspräche, wäre sterbenslangweilig. Zum Glück interessiert sich der Thriller nicht dafür, wie der Justizapparat funktioniert. Er ist schließlich kein Handbuch. Der Thriller will wissen, wie der Mensch sich gegenüber dem Abgrund des Todes verhält. Und zwar geht es dabei meines Erachtens nicht darum, eine Antwort auf die Frage „Warum gibt es das Böse?“ zu finden, sondern um die Beantwortung der entgegengesetzten Frage, die sehr viel komplexer ist. Nämlich um: „Warum gibt es das Gute?“ Mit anderen Worten: Der Thriller selbst ist nur „wahrscheinlich“, während seine Figuren durchaus „wahr“ sein müssen.
Im „Wanderer“ wird die Leiche einer jungen Frau an einem Seeufer gefunden. Erst Jahre später stellt sich heraus, dass sie ermordet wurde. Hat die Geschichte einen wahren Hintergrund?
Ja, aber ich möchte betonen, dass es sich bei meinem Buch nicht um einen True-Crime-Thriller handelt. Jedenfalls nicht im üblichen Sinne. In den neunziger Jahren war der Alltag in Südtirol ganz anders, als man meinen möchte (teilweise sogar heute noch): Überall Drogen, Rassismus, Mord und Totschlag. Zwei Serienmörder, die dort innerhalb weniger Jahre ihr Unwesen trieben. Und dann, 1998, meine Begegnung mit Ulrike … Ich war damals 19 Jahre alt, und das Einzige, was ich halbwegs beherrschte, um mich über Wasser zu halten, war Schreiben. Auf diese Weise bin ich im Sommer 1998 bei einer Lokalzeitung gelandet, die inzwischen längst vom Internet verdrängt worden ist. Ich war kein richtiger Journalist und wurde auch nicht als solcher behandelt. Im August 1998 schließlich wurde dieser bebrillte Knabe, der sich bis dahin nur mit Schachturnieren und Dorffesten befassen durfte, durch ein paar Zufälle und Rangeleien innerhalb der Redaktion auf einmal mitten in die Realität katapultiert. Die Realität hieß Ulrike und lag am Ufer eines Flüsschens im Nordosten Südtirols. Ermordet. Es war nicht das erste Mal, dass ich mit Gewalt in Berührung kam (in den Achtzigern war das Viertel, in dem ich wohne, Zielscheibe der Terrororganisation „Ein Tirol“, und ich kann mich noch gut an Hubschrauber im Tiefflug erinnern, Flugblätter mit irrwitzigen Forderungen, Evakuierungen mitten in der Nacht und massive Spannungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen). Aber ich hatte noch nie eine so sinnlose Grausamkeit mitbekommen. Nicht nur der Anblick dieses armen Körpers, den man weggeworfen hatte wie ein Stück Müll, hat mich bis ins Mark erschüttert, sondern die ganze Art, wie mit dem Tod des Mädchens umgegangen wurde – von der Polizei, von den „echten“ Journalisten oder von den Leuten aus der Gegend. Eine Form der Gewalt, die mich mit Abscheu und Schrecken erfüllt hat. Ich ließ die Zeitung Zeitung sein – diese Lektion hatte ich wahrlich gelernt. Aber seit damals habe ich Ulrikes Fall weiterverfolgt, und vielleicht ist ihr Mörder – der dritte Serial Killer, dem ich in meinem Leben „begegnet“ bin – im Zusammenhang mit anderen Verbrechen sogar gefasst worden, wenngleich ihm diese Tat nicht hundertprozentig nachgewiesen werden konnte. Mit dem „Wanderer“ wollte ich zwei Dinge tun: den ersten Teil meines Schriftstellerdaseins abschließen, der mit „Der Tod so kalt“ begonnen hat und mit „Das Böse, es bleibt“ fortgesetzt wurde, und diese Melange aus Gewalt, Wahnsinn und Paranoia auf Papier bringen, die ich in jenem August vor so vielen Jahren miterlebt habe.
Südtirol spielt in Ihren Romanen eine große Rolle, die Landschaft, die Geschichten, die Mythen, die Mentalität der Bewohner … Warum ist das so wichtig für Sie?
Das ist die Welt, in der ich lebe und in der ich meine Tage verbringe. Südtirol ist ein merkwürdiger Landstrich, in dem anscheinend nicht viel passiert, ein guter Ferienort. Das ist es ganz bestimmt. Aber es ist auch ein Ort, in dem Vorurteile, Gewalt, Korruption und gewisse Verbrechen tief verwurzelt sind. Um es bildhaft auszudrücken: Im Bewusstsein der meisten Leute ist Südtirol einer jener Orte, die früher von den Kartografen mit „Hic sunt dragones“ überschrieben wurden, ein weißer Fleck auf der Landkarte sozusagen. Und als Schriftsteller liebe ich weiße Flecken.
Haben Sie literarische Vorbilder?
Deaver, Fitzek, King, Chandler, Nesbø, Ellroy, Larson, Grangé, Lovecraft … Und Jim Thompson, ein großartiger Autor, der leider viel zu unbekannt ist. Das sind nur einige wenige, die mir sofort in den Sinn kommen. Tatsächlich werde ich von allem, was ich lese, beeinflusst. Ich bin ein leidenschaftlicher Leser. Aber meine Hauptinspirationsquelle für meine Thriller sind meine Mitmenschen. Was mich fasziniert, ist das Theater der Menschheit auf der Bühne, die wir „Welt“ nennen.
Aus dem Italienischen von Susanne Van Volxem, das Gespräch führte Marion Kohler vom Penguin Verlag.
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